Reinhard Fütterer aus Neuhaus bei Windischeschenbach ist Zoiglwirt, Kaminkehrer und ein Idealist. Deshalb hat er den Schafferhof gerettet.
NEUHAUS.Aus der Sudpfanne dampft die Würze. Einatmen, ausatmen. Die Lungenbläschen füllen sich mit dem Dunst des frisch gehopften Suds, in feinen Tröpfchen schlägt er sich auf Reinhard Fütterers Stirn nieder, fädelt sich in kleinen Perlen ins Haar. Die Augen halb geschlossen steht der Neuhauser Kommunbrauer vom Schafferhof im dichten Nebel und wachelt sich den Dampf zu. Die kalte Wintersonne scheint fahl durchs Fenster und taucht den Brautag in ein mystisches Licht.
Das Zoiglbrauhaus als Alchemisten-Küche: Es dampft, kocht und brodelt. Der Sechsstern ist das Zeichen der Alchemie. Weil früher die Wirkung der Hefe nicht bekannt war, rückten die Menschen das Bierbrauen in die Nähe der Zauberei. „Mal ist das Bier was worn, mal nicht“, sagt Reinhard Fütterer (52), Spitzname Kitty. So kamen die Brauer zu ihrem Zunftstern. Beim Zoigl hat er sich erhalten.
Zoigl ist Bier und Tradition zugleich – und vor allem auch eine Gaudi
Gehalten hat sich dort auch das Wundersame und Zauberhafte, das den Kitty nicht mehr loslässt, seit er mit dem Brauen angefangen hat. Denn der Zoigl ist zum einen das Bier – gut gehopft, untergärig, nicht pasteurisiert, unfiltriert, im Kommunbrauhaus gebraut, im heimischen Keller mit Hefe vergoren und gereift. Und zum anderen die Tradition: Der Ausschank geht in der Gemeinde reihum. Wer dran ist, zeigt der Zoiglstern an – Zoigl kommt von „Zeiger, anzeigen“. Kitty ist als 16-Jähriger schon zum Zoigl gegangen. Das Bier war billig und es war eine Gaudi. „Ich kenne das noch so, dass das Wohnzimmer ausgeräumt wurde. Tische und Stühle hat man sich vom Nachbarn geliehen.“
Der Zoigl, das ist auch das Zusammenrücken in einem kargen Landstrich, wo die Natur nicht verwöhnt, aber mit rauem Charme in den Bann zieht. Auf den Menschenschlag in der nördlichen Oberpfalz trifft das gleichermaßen zu. Wobei der Kitty als Zoiglwirt freilich ganz anders auftritt: Mit leutseliger Freundlichkeit geht er auf seine Gäste zu, der Witz blinzelt aus den Augen und scheint manchmal fast überzuschäumen wie das Bier.
Früher hat man sich den Zoigl schöntrinken müssen. Da war das Selbstgebraute aus Haltbarkeitsgründen stärker gehopft und schmeckte ziemlich bitter. „Zwiezach“, wie der Oberpfälzer sagt. „Da hat’s schon zwei, drei Halbe gebraucht, um die Gurgel zu beruhigen“, sagt Reinhard Fütterer und der Schore nickt wissend, als ihm der Kitty eine frische Halbe hinstellt. Sein Zoigl läuft beim ersten Schluck hinunter wie Öl: feinherb und süffig.
Etwa alle vier Wochen ist Ausschank. Da steigt Reinhard Fütterer auf den Dachboden des Schafferhofs und hängt von Freitag bis Montag den hölzernen Zoiglstern aus der Luke. Dann geht’s rund. Alle vier Stuben sind voller Gäste. Sie stammen aus der Umgebung, aus dem nahen Windischeschenbach, aus Weiden – und von überall auf der Welt. „Fast nur nette Leut’. Jeder bringt seine Geschichte mit ins Wirtshaus und lässt was davon da.“ Der Zoigl ist ein Geben und Nehmen, und der Kitty nimmt sich vor allem das Immaterielle: nette Worte, Freundschaft, Lachen und eine Stimmung, die sich nicht feuchtfröhlich, sondern heiter und warm anfühlt. Davon kann der Wirt zwar nicht leben. Aber Reinhard Fütterer ist im Brotberuf Kaminkehrer. Und ein Wirtshaus, das täglich offen hat, tät’ er nicht wollen. Typische Kitty-Philosophie: „Immer zu müssen ist schlimmer, als nicht immer zu können.“
„Na ja, als Bierbrauer brauch’ ma dich schon“
Wenn ab Freitag Zoigl ist, beginnt die Arbeit am Montag mit dem Einkaufen. Dann schürt Kitty die gusseisernen Holzöfen ein. Zögerlich wärmen sich die dicken Mauern auf. Am Dienstag streift er mit dem Staubsauger durch die Stuben, Spinnweben absaugen. Er etikettiert Flaschen, befüllt die Theken, leimt hier einen Stuhl, befestigt dort ein Ofengitter, räumt Schnee. Seine Frau Gabi macht mit ihren Helferinnen die Küche startklar. Als Erstes braten sie das Fleisch aus für die Sulzen. „Ich koch’ zwar wahnsinnig gern, aber nicht mit fünf Frauen“, scherzt der Kitty. Seine Frau gibt zu verstehen, dass sie ihn dabei auch gar nicht brauchen können. „Na ja, als Bierbrauer brauch’ ma dich schon.“
Brauen ist Kontrast zum Ausschank: still und geruhsam, außer in den konzentrierten Phasen, wo Reinhard Fütterer zupacken und aufpassen muss. In einem Büchlein notiert er jedes Detail des Brauvorgangs, um die Werte zu vergleichen. Das Kommunbrauhaus von Neuhaus wurde zwar 1993 renoviert, automatisch läuft dort aber gar nichts. Geheizt wird der Kessel zum Beispiel mit zwei Ster Holz, die der Brauer am Vorabend ins Souterrain schleppen muss.
Dagegen sind die Zoigltage eine Art kollektiver Ausnahmezustand. Oder „a Narretei“, wie der Kitty sagt. Da wird er zum Romantiker, der einen Traum erfüllt, und zwar nicht nur sich: „Wir brauchen in unserer Gesellschaft Idealisten. Die, die das Leben lebenswert machen. Wenn jeder sich nur seine Rechte nimmt, geht die Gesellschaft zugrunde.“
Der Schafferhof wäre auf alle Fälle zugrundegegangen, wenn ihn die Familie Fütterer – dazu gehören Kittys Frau Gabi, der 21-jährige Sohn und die 23-jährige Tochter – nicht gerettet hätte. Man brauchte schon viel Phantasie, um in dem baufälligen, denkmalgeschützten Hof oberhalb der Burg und unterhalb des Marktplatzes mehr als eine Ruine zu sehen. Zuletzt war eine Bäckerei drin. Der alte Backofen ziert die untere Zoiglstube.
Sechs Jahre stand das Anwesen zum Verkauf, oft lief der Kitty vorbei. Dann auf einmal die Idee: „Wir wecken es aus dem Dornröschenschlaf.“ Nicht umsonst ist er auch ein Pfadfinder durch und durch. Wenn er ein Ziel hat, findet er den Weg. Die Fütterers kauften den Hof im Februar 1998, am 15. Dezember 2000 wurde die untere Zoiglstube eröffnet. Nach und nach renovierten sie weitere Räume, bauten den Stadel neu auf und eine große Kulturbühne aus.
„Wir hätten Geld und Arbeit gespart, wenn wir gleich gewusst hätten, worauf’s nausläuft.“
Eins kam zum andern. „Wir hätten Geld und Arbeit gespart, wenn wir gleich gewusst hätten, worauf’s nausläuft“, sagt der Schafferhof-Wirt. Er hatte keinen Plan, ernsthaft. Aber es ist, als hätte den ein anderer für ihn gehabt. Reinhard Fütterer wuchs am Neuhauser Marktplatz auf, wo er heute noch wohnt. Die Eltern führten ein Kolonialwarengeschäft. Im Schaufenster wird jetzt der Zoigl erklärt. Eine rot lackierte Bank steht davor, wie früher, als die Leute lieber draußen saßen als vorm Fernseher. Rundum Zoigl-Zeichen: der Schoilmichl, der Käckn, der Bahler, der Teicher, der Lingl. Kein Wunder, wenn man da mit dem Zoiglvirus angesteckt wird. Fast kein Zufall scheint auch Kittys Sammelleidenschaft zu sein. Historische Wirtshauseinrichtungen lagerten schon in seiner Garage, lange bevor er im Traum an den Schafferhof dachte.
„Mensch, da könnt’ ma doch a Band drin spielen lassen.“
Ähnlich entstand die Kulturbühne. Um das Programm auf dem Schafferhof kümmert sich neuerdings Lukas Höllerer. Die Freundschaft mit dem Lucki ist quasi familiär bedingt: „Seelenverwandtschaft“. 20 bis 25 Konzerte organisiert er pro Jahr. Die Namen können sich sehen lassen: Sportfreunde Stiller, Claudia Koreck, Werner Schmidbauer und viele andere. Früher betreute Kittys ältester Freund Werner Schick die Auftritte. Die Idee mit der Kultur im Nebengebäude kam ihnen beim Wandern. „Mensch, da könnt’ ma doch a Band drin spielen lassen.“
Nirgendwo ein Oktoberfestdirndl oder eine Lederhose
Freilich auch die ortsansässige „Altneihauser Feierwehrkapell’n“. Das Konzert im Dezember 2017 – längst ausverkauft. Norbert Neugirg ist ein Freund von Reinhard Fütterer. Den Proberaum im ersten Stock auf dem Schafferhof haben der Hauptmann und seine Männer eigenhändig ausgeweißt. Sobald sie dort nicht üben, wird der Raum zur Gaststube.
Eng beieinander und bunt durcheinander sitzen dann die Zoiglgäste an den Holztischen. Der Boden knarzt unter den Füßen der Bedienungen. Der Wirt zieht durch die Räume, legt ein Scheit nach, räumt einen Tisch ab, und überall gibt’s was zum Erzählen. Wortfetzen, Lachen. Nirgendwo ein Oktoberfestdirndl oder eine Lederhose, keine Reservierung, kein Bayern-Kitsch, keine geschmacklose Folklore. So schlicht und authentisch wie die Gasträume sind auch die Gäste, jeder ganz er selber, und wenn ein bissl der Lack abblättert, dann soll er halt. Und kein Prosit der Gemütlichkeit. Beim Zoigl macht das Reden die Musik.
„Das Besondere liegt darin, dass es so einfach ist“, sagt der Kitty. Das sei das Geheimnis. „Beim Zoigl san alle gleich. Herkunft, Geld, Status, Hautfarbe, ob alt, ob jung – spielt alles keine Rolle.“ Und am Ende hat der Zoigl sogar was Metaphysisches: als eine Idee, die über allem steht.
Link zum Originalbericht aus der Mittelbayerischen.